Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich derzeit nicht besonders auf die Flüchtlingskrise. Von uns in Zentraleuropa häufig unbemerkt, spielen sich auf der Balkanroute weiterhin dramatische Szenen ab. Bei ihrem Versuch, in die EU zu gelangen, stranden tausende Menschen an der bosnisch-kroatischen Grenze. Mit dem „Cambium Hilfskonvoi“ wollen wir nicht länger wegschauen, sondern aktiv werden. Wir sammeln Geld- und Sachspenden und leisten Hilfe vor Ort. Lest hier den Bericht über unsere erste Fahrt nach Bihać.
28.12.2019
Nach einer 10-Stunden-Reise kommen Arnold und ich wohlbehalten in Bihać an. Wir starteten pünktlich um 5 Uhr, das Auto bis oben hin voll mit Decken und warmer Bekleidung, und waren nach 4 Stunden an der Grenze in Slavonski Brod. Dort haben wir den bosnischen Zoll nach kurzer Klärung erfolgreich passiert, nachdem der ganz genau wissen wollte für wen die „Geschenke“ sind.
Zum Mittagessen gab es Zeljanica in Banja Luka. Danach ging es hinauf in die Berge, über angezuckerte bis schneebedeckte Hochebenen, bis wir um ca. 15 Uhr am Zielort in Bihać eintrafen.
Anela,
unser Kontakt, nimmt uns sehr herzlich auf,
zeigt uns unsere
Zimmer und nach einer kurzen Besprechung bei einem „domaci kaffu“
fahren wir,
nachdem wir das Auto ausgeladen haben,
in den Supermarkt, um für eure Spenden Lebensmittel einzukaufen.
Dort stößt auch
Nuna zu uns, eine sehr taffe Frau, die mit Unterstützung von Anela
den Kontakt zu vielen Gruppen hält und diese so gut sie kann
versorgt.
Sie schätzen, dass sich vier-
bis fünftausend unversorgte Menschen in
und um Bihać
aufhalten, junge Burschen, viele noch Kinder, vielleicht 15 oder 16
Jahre alt aus Afghanistan, Pakistan,Indien!… bis Marokko. Täglich
kommen jetzt wieder viel mehr, die versuchen, über die Grenze zu
gelangen. Manche
schaffen es beim ersten Versuch, andere sitzen schon seit zwei Jahren
hier fest. Die offiziellen Camps nehmen kaum mehr Menschen auf,
deswegen sind diese auf sich allein gestellt.
Es
sind maximal 10 Einheimische hier, die wie Anela und Nuna aktiv
helfen, 24 Stunden/Tag einsatzbereit 7 Tage/Woche.
Sie
können natürlich nur einen Teil abdecken, haben Familie/Kinder, die
auch mit unterstützen.
An der Supermarktkassa spendet eine ältere Frau spontan 40 €, als sie erfährt, wofür der Berg an Lebensmittel sein soll.
29.12.2019
Am Vormittag treffen wir uns in der Garage von Anela, um dort die Pakete zusammenzustellen. Nuna hat zwei jungen Afghanen mitgebracht, beide junge, sympathische Burschen, von denen fast nur Ali mit uns spricht, auch weil er besser Englisch kann.
Wir gehen daran, 50 Pakete mit Bohnen, Öl, Milch, Reis, Nudeln, Tomatensauce, Zucker, Salz, Datteln, Tee, feuchten Tüchern (Wasser gibt es nur zum Kochen und Trinken), Gewürzen, und 50 Pakete mit Obst und Gemüse zusammenzustellen. Je ein Paket soll für eine Gruppe von 6-10 Menschen für 2 Tage reichen. Dazu gibt es einen Sack Mehl zum Brot Machen.
Es ist eine gute Stimmung, Nuna ist sehr froh über unser Tun, Ali zeigt uns auf seinem Handy ein paar Videos, z.B. wie sie sich bei 0 Grad im Fluss waschen oder wie sie Fladenbrot backen. Von Ali wissen wir, dass sie mit mehreren Gruppen in einem Rohbau ohne Fenster und Türen schlafen, deren Besitzer sie dort duldet. Es gibt auch eine funktionierende Steckdose, wo sie ihre Handys aufladen können.
Gegen 13 Uhr starten wir zu einem Parkplatz eines Einkaufszentrums am Rande der Stadt. Auf der Straße fallen immer wieder frierende Menschen auf, die zwar erwartet, aber ungewohnt das Stadtbild mitprägen. Es sind nicht viele. Vermutlich weil es unangenehm kalt ist verharren sie in ihren kargen Unterkünften.
Als wir eintreffen, kommen drei junge Burschen in schlechtem Zustand und mit unzureichender Bekleidung und kaputten Sportschuhen ohne Socken auf uns zu, die offensichtlich neu angekommen sind, und bei Nuna nur eine Bestellung für Kleidung und Lebensmittel für den nächsten Tag abgeben können.
So läuft Nunas System. Auf ihren Notizblock schreibt sie Namen und Bestellung auf und liefert am nächsten Tag, was sie mit ihrem Golf Kombi transportieren kann. Pro Transport kann sie ca. 10 Gruppen mit Lebensmitteln und Bekleidung versorgen.
Nach und nach treffen ca. 25 junge Burschen aus der Umgebung ein. Ich schätze, die jüngsten sind 15 oder 16 Jahre alt. Der älteste ist 27. Fast alle 160 bis 170cm groß, Schuhgröße 42.
Unangenehme Kälte und Wind, Arnold und ich frieren in unseren Winterjacken. Viele kommen leicht bekleidet, zwei nur in Badeschlapfen. Dem einen, weil ihm die kroatische Grenzpolizei beim letzten Grenzübertritt die Schuhe weggenommen hat. Dem anderen waren die gespendeten Schuhe zu groß und er hat sie einem Kollegen weitergegeben.
Zwei
kommen auf mich zu und zeigen mir, dass sie die Krätze haben und
wollen bei mir Salbe bestellen.
Nuna schreibt das auf. Behält
den Überblick. Die Atmosphäre bleibt trotz kurzer Hektik und
Anspannung freundlich und von Geduld geprägt.
Die Pakete werden
mit Nunas Helfern ausgegeben, weitere Bestellungen angenommen. Nach
ca. 20 Minuten löst sich die Ansammlung wieder auf.
Danach
werden wir noch auf einen Tee in Nunas Wohnung eingeladen, wo wir
auch ihren Mann Hadis treffen, der auch so gut er kann mithilft. Sie
haben eine kleine Wohnung, ca. 50 m², wo sie mit ihren beiden Söhnen
leben.
Ali erzählt uns von seiner Reise. Er ist 22 Jahre alt
und seit 5 Jahren unterwegs. Erst arbeitete er 3 Jahre im Iran auf
dem Bau und dann 2 Jahre in der Türkei, u.a. in einer Fabrik wo er
Jeans nähte. Viele Strecken ging er zu Fuß, auch von der Türkei
nach Bosnien, wo er vor einem Monat in Bihać
eintraf. Er berichtet, dass nicht alle den Weg über die Berge in
Mazedonien geschafft haben und viele dort zurückgeblieben sind. Im
Frühjahr möchte er nach Italien und von dort nach England, sein
Freund möchte nach Frankreich.
Immer wieder klopft jemand an.
Sie fragen nach warmer Kleidung, Hauben, Handschuhe. Nuna meint, sie
kommen aus einem verlassenen Haus in der Nähe.
Nach einer Stunde des Austausches machen wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Es ist für uns beeindruckend, wie Nuna, Hadis und Anela gefühlt alleine versuchen, wenigstens einen Bruchteil der hier gestrandeten Menschen in fast ständigem Einsatz zu versorgen. Sie betont auch, dass sie das alles nur machen kann, weil von außen die notwendige Unterstützung kommt. In Velika Kladuša, ca. eine Autostunde entfernt, ist ein Projekt, das die Menschen mit warmem Essen versorgt hat, aus Mangel an Lebensmitteln gescheitert.
Ein Teil von mir ist traurig, ob der Umstände, in denen sich die Menschen dort befinden, ein Teil ist beeindruckt von dem Willen und den Strapazen, die diese jungen Menschen, gefühlt immer mit einem Lächeln, auf sich nehmen, gerührt von den Helfern, die seit zwei Jahren unermüdlich gegen diese unmenschlichen Bedingungen ankämpfen. Ich bin aber auch froh und erleichtert, dass unser Plan in diesen zwei Tagen so aufgegangen ist, wie wir uns das vorgestellt haben. Und dass wir Menschen getroffen haben, die offensichtlich verstanden haben, was es zum guten Leben braucht.
Ich danke euch, dass ihr das so unterstützt habt!
Und danke Arnold, dass du mit mir diese Reise gemacht hast…
Liebe Grüße, Dominik
Geldspenden nehmen wir gern über das Vereinskonto entgegen:
AT12 2081 5000 4010 2436
STSPAT2GXXX
Verwendungszweck: Hilfskonvoi Cambium
Eure Spenden kommen 1:1 bei den Menschen vor Ort an.
Reisespesen werden aus einem anderen Topf finanziert.